Hochbegabte und vor allem hochkreative Menschen sind Visionäre, denn sie sind mit ihren Gedanken und Ideen oftmals der Zeit voraus.
Das hört sich zunächst einmal nach einer großartigen Fähigkeit an und ganz ehrlich, wer hätte nicht gerne mal eine wirklich geniale Idee? Doch die Fähigkeit neue, disruptive, weiterführende Ideen zu entwickeln macht den Betroffenen das Leben oftmals sehr schwer, denn in der Regel stoßen ihre Ideen und Lösungsansätze auf Unverständnis und Ablehnung.
Während in Unternehmen Kreativworkshops boomen und Mitarbeiter diverseste Kreativitätstechniken lernen und in Think Tanks um neue Ansätze ringen, um ihr Unternehmen mit kreativen und innovativen Ideen zu bereichern, werden die meist wirklich genialen Ideen von hochbegabten und hochkreativen Mensch abgelehnt. Warum? Ganz einfach - sie sind ihrer Zeit ZU WEIT voraus, denn der normal begabte Mensch, kann diese Ideen nicht einschätzen, denn er ist in der Gegenwart verankert. Er braucht Ideen, die er begreifen und nachvollziehen kann und dessen Chancen und Risiken für ihn zu überblicken sind.
Eine geniale Idee ist in der Regel so disruptiv, dass sie außerhalb all dessen liegt, was common sens ist. Sie stellt das vorhandene in Frage und disqualifiziert die bisherigen Denk- und Vorgehensweisen.
Hochbegabte und hochkreative Menschen haben die Fähigkeit, Muster und Systeme in komplexen Zusammenhängen zu erkennen und sie in ihrer Komplexität weiter- bzw. zu Ende zu denken. In diesem "weiter-Denken", diesen virtuellen Zeitreisen, diesem Vorstellungsvermögen, erlangen sie Erkenntnisgewinne, die zeitlich gesehen in der Zukunft liegen und aus denen heraus sie ihre neuen Ideen und Lösungsvorschläge entwickeln. D.h. ihre kreativen Ideen sind in der Zukunft verankert. Während Mitarbeiter von den Problemen der Gegenwart ausgehen, gehen Hochbegabte und Hochkreative von den sich ergebenden Problemen und Möglichkeiten der Zukunft aus. Ihr Problem ist jedoch, dass sie im Hier und Jetzt mit Menschen zusammenleben und -arbeiten, die ihren Gedanken nicht folgen können und auch nicht folgen wollen, denn es würde ihr "Jetzt" in Frage stellen.
Aus dieser zeitlichen Verschiebung heraus ergeben sich jene Probleme, unter denen viele hochbegabte und hochkreative Menschen und vor allem aber auch Kinder leiden. Ihre Gedanken und Ideen sind in der Regel so weit zeitlich voraus, dass sie ihre Ansätze immer erklären müssen. Dabei müssen sie nicht nur ihre Ideen erläutern sondern auch deren Herleitungen. Da sie sich dieser Herleitungen und Schlussfolgerungen nicht bewusst sind, denn für sie sind sie offensichtlich, wie auch keine Vorstellung der zeitlichen Verschiebung ihrer Gedanken haben, geraten sie in Erklärungsnotstand und unter Rechtfertigungsdruck.
Gerade hochbegabte und hochkreative Kinder haben in den bestehenden Systemen ganz besondere Schwierigkeiten, denn in der Regel werden ihnen die Fähigkeiten, Systeme weiterzudenken und neue Lösungen zu finden, abgesprochen und Lehrer und Erzieher gehen nicht in den dringend benötigten Diskurs und der positive Beurteilung der entwickelten Ideen. Kinder erfahren so eine Form der Ablehnung, die sich auf ihr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sowie Vertrauen in ihre kreativen Fähigkeiten und Begabungen auswirkt und mit denen sie bisweilen ein Leben lang zu kämpfen haben.
Ganz zum Schluss möchte ich noch das Bewusstsein auf Mädchen und Frauen mit visionären Begabungen lenken, denn sie haben es besonders schwer. Die Gesellschaft ist gerne bereit Jungen und Männern diese Fähigkeit zuzuschreiben. Da Vinci, Einstein, Jobs - diese Namen sind uns wohl vertraut und schnell parat wenn wir an große Visionäre denken. Alexander der Große "ich schaffe ein Reich in dem die Sonne niemals untergeht" im Geschichtsunterricht oder Charles Darwin "Kampf ums Dasein" im Biologieunterricht - schon früh verknüpft die Gesellschaft durch vorgegebene Lehrinhalte große, visionäre Ideen mit männlichen Persönlichkeiten. Um jedoch auch Mädchen und junge Frauen Zutrauen in ihre kreativen, visionären Fähigkeiten zu geben, sollten uns auch weibliche Vorbilder selbstverständlich und vertraut sein. Hypathe von Alexandria, Hildegard von Bingen, Hedy Lamarr, Hannah Arendt, Jane Goodall oder Coco Chanel - gehen wir gemeinsam auf die Suche nach großen und großartigen Frauen und geben ihnen die entsprechende Aufmerksamkeit, damit auch Mädchen Identifikationsfiguren finden und ihre Begabungen entsprechend entwickeln können.
Gastbeitrag
Dr. Birgit Wegerich-Bauer von Myndun e.V.i.G.
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